Mein Kind will nicht zum Psychologen

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Manche Kinder oder Jugendliche verweigern den Besuch beim Psychologen. Meist ist es Angst die dahinter steckt und schwer zu überwinden ist und so landen manche durch geschicktes Einladen beim Psychologen, für andere ist die Behandlung über nahestehende Personen (Eltern) eine gute Lösung.

Etwas was ich häufig am Telefon höre, meist nach einer kurzen Schilderung des eigentlichen Problems ist, dass die Tochter oder der Sohn nicht zum Psychologen will.

Wie wir unsere Kinder dennoch zum Psychologen bekommen, wie wir am besten auf deren Bedürfnisse eingehen können und ob es andere Möglichkeiten gibt, beschreibe ich hier:

Angst

Manchmal ist es das erste woran man denkt und oft liegt man damit auch genau richtig. Allerdings kann diese Angst ganz unterschiedlich sein.

Angst vor der Person

Hat das Kind, der oder die Jugendliche Angst vor neuen Personen oder Erwachsenen, so kann man mithilfe eines Fotos und eines Lebenslaufes Vorbereitungen treffen. Viele Psychologen und Psychologinnen haben diese Informationen auf deren Webseite, andere schicken diese Information auch via Email aus.

Nicht immer möglich, aber manchmal kann man auch das Kind, den oder die Jugendlichen bereits bei der Wahl des Psychologen miteinbeziehen.

Eine weitere Möglichkeit ist ein (kurzes) Telefonat oder Videotelefonat, zwischen Eltern und Psychologin oder Psychologen, bei dem das Kind, der/die Jugendliche einfach zuhört bzw. zusieht ohne selbst gesehen oder gehört zu werden.

Angst aufgrund von Vorurteilen

Über Psychologen und Psychologinnen gibt es eine Reihe von Vorurteilen, die Ängste auslösen können. Diese könnten Gedanken lesen, wären selber »gestört«, den braucht man nur wenn man »gestört« sei, etc.

Bei der Aufklärung ist es wichtig, besonders auf die Ängste oder Vorurteile des Kindes ein zu gehen und diese nicht einfach vom Tisch zu wischen.

Wäre das Vorurteil: »Die können Gedanken lesen.« so ist das natürlich nicht richtig, richtig ist allerdings, dass Psychologen und Psychologinnen üblicherweise die Körpersprache lesen und dann Aussagen wie “Ich merke, das macht dich traurig.” machen, was sich vielleicht seltsam anfühlen kann, wenn Kinder/Jugendliche nicht gewohnt sind, über ihre Gefühle zu spechen. Es könnte sich manchmal tatsächlich wie Gedanken lesen anfühlen.

Bei dem Vorurteil »die sind ja selber gestört« kann man erklären, dass bei den allermeisten Psychologen etwas in der Geschichte passiert ist, was dazu führte, dass sie diesen Beruf ausüben. Psychologen wissen das und haben diese Probleme bearbeitet. Manchmal kann das sogar einen Vorteil darstellen, z.B. verstehen Psychologen die selber einmal in der Vergangenheit eine Sozialphobie hatten, verstehen die Sozialphobie hervorragende und können sich daher auch auf intuitiver Ebene auf das Kind einstellen.

Angst vor den eigenen Problemen

Streng genommen ist es die Angst davor, die eigenen Probleme vor Augen geführt zu bekommen, sich diesen Stellen zu müssen. Und wenn wir es ganz genau nehmen, ist es die Angst davor, abgewertet zu werden oder sich selbst ab zu werten, dadurch, dass man seine Probleme anerkennt.

Abgewertet zu werden oder seine Probleme anzuerkennen, bei einem ohnehin bereits niedrigen Selbstwertgefühl, bei dem quasi keine Luft mehr nach unten ist, führt unweigerlich zu einer Vermeidungshaltung. Man muss vermeiden, abgewertet werden zu können, weil sonst nichts mehr übrig ist, wofür es sich zu Leben lohnt. In diesem Fall ist die Ablehnung eines Besuchs bei der Psychologin oder dem Psychologen ein Selbstschutz.

In diesem Fall hilft man dem Kind beim Aufbau seines Selbstwertgefühls. Selbstwertgefühl bauen wir auf, in dem wir Erfahrungen machen, etwas zu können, von dem wir nicht wussten, dass wir es können. Das kann beim Sport sein, Basteln, im Haushalt mithelfen, und vieles mehr. Am besten mit der Person, mit der das Kind die beste Beziehung hat und falls es eine solche nicht gibt, ist Beziehungsaufbau zuvor noch notwendig.

Angst vor Stigmatisierung

Wer zum Psychologen geht, sei gestört, ein Psycho, dumm, nicht ganz richtig im Kopf, usw. Diese Vorurteile spuken auch bei unseren Kindern in den Köpfen herum.

Mögliche Lösungen sind hier, das Kind zu informieren, dass es nicht um einen Stempel geht, sondern um eine Lösung für die Probleme des Kindes.

Manchmal kommt auch die - leider in unserer Gesellschaft immer noch - berechtigte Sorge, was andere denken könnten, wenn sie wüssten dass man zum Psychologen geht. Die Schweigepflicht sorgt dafür, dass der Psychologe oder die Psychologin keine Auskunft darüber geben darf, dass man zu Besuch war1.

Für das Kind, besonders bei Jugendlichen kann es hilfreich sein, bereits im vorhinein mögliche Ausreden parat zu haben, wenn Freunde oder die Schule fragen, wo man war. Zahnarztbesuch vor zu schieben empfiehlt sich oder auch einen Termin außerhalb der Schulzeit.

Das sind Notlügen, die verhindern, dass ein Kind stigmatisiert wird und daher unbedenklich2.

Angststörungen

Manchmal kann aber auch eine vorliegende Angststörung, insbesondere Sozialphobie oder die Generalisierte Angststörung starke körperliche Angstsymptome auslösen. In diesem Fall kann ähnlich wie bei Angst vor der Person vorgegangen werden, bzw. ist es empfehlenswert mit dem Psychologen oder der Psychologin das vorgehen ab zu sprechen.

Weitere Möglichkeiten sind

  • Hausbesuch um Beziehungsaufbau von seintens der Psychologin, des Psychologens zu beginnen.
  • Distanzbehandlung (Videotelefonat, Telefon, Messenger, …) ist bei Jugendlichen oft Aufgrund der niedrigeren Hemmschwelle ein gute Option. Auch ein Brief mit Antwortkuvert gehört hier dazu.
  • Arbeit mit den Eltern mit dem Ziel, Sicherheit zu geben, ein Anker für das Kind zu sein, …
  • Eine Kombination aus den Dreien.

Fehlende Problemeinsicht

Das Fragezeichen in der Überschrift deutet bereits darauf hin: Nicht alle Kinder oder Jugendlichen, von denen gedacht wird, dass sie psychologische Hilfe brauchen, brauchen diese tatsächlich.

Die Unterscheidung, ob dem Kind die Problemeinsicht fehlt oder ob es schlichtweg kein Problem hat, ist der erste Schritt an dieser Stelle. Und auch die Antwort auf die Frage, wer eigentlich das Problem hat, ist von Bedeutung.

An dieser Stelle möchte ich gerne ein Beispiel aus meiner Praxis erzählen:

Die Eltern klagen darüber, dass die dreizehnjährige Tochter keine Einsicht in die Konsequenzen ihres Handelns hat und nicht auf die Eltern hört. Sie haben bemerkt, dass die Tochter manchmal nachts das Haus unerlaubt verlässt und sorgen sich deshalb.

Das Mädchen erzählt, es könne nicht mit den Eltern über seine Probleme reden. Deshalb verlasse es manchmal Nachts das Haus um eine Freundin zu treffen, mit der es dann rauchte, während es seine Probleme besprechen konnte.

In diesem Fall wären es die Eltern die das Problem haben, nicht das Kind, denn dieses hat eine Lösung für das Problem gefunden. (Natürlich können dadurch weitere Probleme entstehen, das ist aber für die Motivation, zum Psychologen zu gehen, an dieser Stelle noch nicht von Bedeutung.)

Wenn es nicht das Kind ist, welches das Problem hat, sondern die Eltern, dann empfehle ich allenfalls, mit der Behandlung ohne dem Kind zu beginnen.

Schlechte Erfahrungen

mit früheren Psycholog/innen oder Betreuer/innen

Wenn es sich um schlechte Erfahrungen mit früheren Psychologinnen, Psychologen oder anderen Betreuungspersonal handelt, so stellt sich die Frage, was den jetzt anders sein wird.

Hilfreich ist hier, neben den Tipps, die bereits unter Angst vor der Person beschrieben wurden, mit dem Kind, der oder dem Jugendlichen konkrete Fragen oder Ziele zu erarbeiten um so im Erstgespräch fragen zu können, wie denn der/die Psycholog/in helfen wird.

Mit diesen Fragen oder Zielen kann man im Erstgespräch herausfinden wie die Unterstützung aussehen kann. Dabei kann man auch auf die Chemie zwischen Psycholog/in und Klient/in schauen und dann um Bednkzeit bitte um darüber zu schlafen einlegen, bevor man weitere Termine vereinbart.

mit dem derzeitigen Psychologen

Wenn das Kind nach einigen Terminen nicht mehr hingehen will, so kann das verschiedene Ursachen haben:

  • Irgendwas (Chemie) zwischen Kind und Psychologen stimmt nicht.
  • Kind/Jugendlich/er fühlt sich nicht verstanden.
  • Der Sinn der Behandlung wird nicht erkannt.
  • Die Behandlung kommt nicht voran (keine Besserung).
  • Kinder fühlen sich zu häufig “schlecht” nach einer Behandlung.
  • Die Reflexionsprozesse führen zu Selbsteinsicht, die schmerzhaft ist.
  • Der/die Psychologe/in arbeitet schlecht.

Bei all diesen Ursachen ist es wichtig, den/die Psychologen/in zu informieren und in einem gemeinsamen Gespräch mögliche Lösungen für das Problem zu finden. Ich rate von einem direkten Wechsel zu einem/einer anderen Psychologen/in ab, da hier möglicherweise wichtige Prozesse unterbrochen würden. Sollte das gemeinsame Gespräch allerdings nicht zu einer guten Lösung für alle Beteiligten führen, so ist durchaus ein Wechsel sinnvoll.

Schulstress

Ein Phänomen, dass ich neuerdings bei einigen Jugendlichen beobachte ist, dass diese manchmal die Schule vor die eigenen Probleme stellen. So darf der Termin nur außerhalb der Schulzeit stattfinden, man möchte nichts verpassen und selbst dann nur, wenn gerade keine Tests oder Prüfungen anstehen.

Wenn das noch möglich ist und die Jugendlichen noch »funktionieren«, ist der/die Psychologe/in eine Belastung, dessen Nutzen gering ist. Die Lösung hier wäre ein erster Termin in den Ferien oder wenn gerade wenig für die Schule zu tun ist. Manchmal ergeben sich daraus regelmäßige Kontakte, manchmal nicht. Eine Alternative kann die Beratung der Eltern sein.

Freiwilligkeit

Dass Kinder oder Jugendliche nicht freiwillig zum Erstgespräch kommen, ist nicht ungewöhnlich. Das muss auch nicht sein. Es ist schön und ich schätze das, wenn sie dennoch diesen Schritt wagen, auch wenn sie es »nur für die Eltern« oder »für die Schule« machen. Vielleicht sind sie auch bereit alleine zu sprechen, vielleicht 2-3 mal zu »probieren« ob ihnen das was helfen könnte. Aber spätenstens dann ist es notwendig, dass sie freiwillig fortsetzen, da sich sonst keine positive Entwicklung möglich wird.

Sie können die Freiwilligkeit der Kinder als Eltern nicht herstellen, dass ist etwas was im therapeutischen Prozess entstehen kann, aber nicht muss. Stellt sich die Freiwilligkeit nicht ein, so kann man das lediglich akzeptieren. Aber auch hier kann einfach mit den Eltern weitergearbeitet werden.

Schritt für Schritt

Hier folgen Beispiele aus meiner Praxis, damit Sie sich besser vorbereiten können, wie Sie mit Ihrem Kind über den bevorstehenden Termin bei der Psychologin, dem Psychologen sprechen wollen.

Was sage ich meinem Kind?

Bewährt hat sich, offen und ehrlich darüber zu reden, warum Sie denken, dass der Termin beim Psychologen oder der Psychologin notwendig ist. Keine Tricks oder zurückgehaltene Informationen. Man kann durchaus ausdrücklich vermitteln, dass das Kind, der oder die Jugendliche zum Psychologen mitkommen soll.

In diesem Vorgespräch geht man auch auf die Ängste, Bendenken, etc. ein, versucht gut zu zu hören und zu verstehen. Vielleicht sind Antworten zu den Ängsten weiter oben in diesem Artikel bereits beschrieben, ansonsten freue ich mich auf eine Nachricht.

Das erste Mal

Ich schlage Eltern oft vor, mit den Kindern/Jugendlichen gemeinsam zu kommen. Die Freiwilligkeit ist auch an diesem Punkt noch nicht wichtig. Im Warteraum (bei mir muss man eigentlich nicht warten), frage ich dann, ob Kind/Jugendlicher gerne alleine oder mit Mutter/Vater/Eltern mit mir sprechen möchte.

Manchmal überlegen es sich Jugendliche kurzfristig und gehen gleich alleine mit. Häufiger ist allerdings, dass ich Mutter und Kind oder die ganze Familie bei mir im Behandlungsraum habe. Es sind in der Regel die Eltern die beginnen und versuchen ein Bild des Problems zu schildern. Irgendwann kommt dann der Punkt an dem sich das Kind, der/die Jugendliche, der/die bislang unbeteiligt wirkte, nicht mehr mit dem Erzählten einverstanden ist und erklärt, wie es wirklich ist. Wir haben auf diese Weise gleich beide Sichtweisen auf dem Tisch.

Ob es dann zu einem Einzelgespräch kommt oder nicht, hängt von der Art des Problems ab, aber nehmen wir mal an, es wäre so. In diesem Fall würde ich die Eltern einfach bitten, draußen zu warten und mit dem Kind oder Jugendlichen, das oder der jetzt schon etwas freiwilliger da ist, direkt auf die Freiwilligkeit ansprechen. Meistens. Denn psychologische Behandlung hängt auch stark von der Intuition ab und funktioniert nicht nach Lehrbuch.

Ich bin wegen meiner Mam hier

»Ich bin wegen meiner Mam hier.«, »In der Schule wurde gesagt, ich soll kommen.«, oder ähnliche Gründe werden aufgezählt, wenn ich die Frage nach der Freiwilligkeit stelle. Das nimmt Druck raus, und baut bereits Beziehung auf. Ich lasse meine jungen Klienten dann erzählen, was sie denken, warum sie geschickt wurden.

Oft erkläre ich dann, dass ich nicht mit ihm/ihr arbeiten werde, wenn er/sie nicht freiwillig kommt. Aber dass, wenn er/sie ja schon mal da sei, das ja einfach mal ausprobieren kann, mit mir zu reden. »Und wir machen dann keinen weiteren Termin aus, sondern erst dann, wenn du einmal drüber geschlafen hast. Und wenn du es dir überlegt hast, dann rufst du/ruft deine Mutter/Vater mich an.« (In letzter Zeit möchten mehr und mehr Jugendliche allerdings gleich einen weiteren Termin vereinbaren.)

»Ich löse alle meine Probleme selber.«, nannte ein 15 jähriges Mädchen den Grund, warum es nicht zu mir zu kommen brauchte. »Das finde ich gut«, war meine Antwort: »das zeigt, dass du dein Leben selbst gut im Griff hast, und keine Hilfe brauchst.« Zufriedener Gesichtsausdruck. »Wenn du aber möchtest, kann ich dir einen weiteren Termin anbieten, in dem ich dir erzählen werde, wie andere Klienten ähnliche Probleme lösen. Dann hast du vielleicht noch weitere Ideen, was deine eigenen Probleme betrifft.«

Sie hat angenommen. (Ist nicht immer so.) Beim nächsten Termin haben wir nicht über andere Klienten gesprochen und insgesammt wurden es dann 10 Termine, in denen sie intensiv an sich arbeitete.

Mein Kind kommt nicht mit

Wenn Kinder auf gar keinen Fall zum Psychologen wollen, dann ergibt es auch keinen Sinn, diese zu zwingen. Erfahrungsgemäß sind diese Behandlungen nicht zielführend.

In einer Familie ist es wichtig, dass es allen Menschen, die zusammen wohnen, sich dort auch wohlfühlen. Aus diesem Grund kann man nicht einfach nichts machen, nur weil der oder die, um den es vermeintlich geht, nicht kommen möchte.

Daher schlage ich vor, dass Mütter, Väter, Eltern zu mir kommen. Wir erarbeiten dann Lösungen für das Problem, bei denen die Anwesenheit des Kindes in der Praxis nicht notwendig ist.

Ziele können dann sein:

  • Das Problem des Kindes, des/der Jugendlichen verstehen
  • Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern erarbeiten
  • Beziehungsgestaltung zwischen Eltern und Kind
  • Entlastung für die Eltern, Netzwerk erstellen.

Auch dieser Weg zeigt in der Regel gute Wirkungen schon bei wenigen Terminen. Dass Kinder später noch dazu kommen ist wirklich sehr sehr selten, häufiger ist, dass Eltern sich wundern, wie sie durch Veränderungen im Alltag bereits so viel verbessern konnten.

Nichts davon hilft

Nun dann einfach eine kurze Nachricht an mich, damit ich diesen Post verbessern kann: Per Mail an martin@kaffanke.info oder via Kontaktformular.

  1. Es gibt natürlich Ausnahmen, wie z.B. Auftraggeber, Abrechnunung mit Krankenkassen, wenn eine Meldung an das Jugendamt erfolgen muss, etc. 

  2. Wäre es nicht besser, die Wahrheit zu sagen? Natürlich, dadurch würde auch die gesellschaftliche Stigmatisierung abnehmen. Aber es ist nicht die Aufgabe unserer bereits geschwächten Kinder, es ist die Aufgabe von Politik, Medien, Psychologinnen und Psychologen selbst. 

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